Wieder Naziaufmarsch in Hamm!
Für den 01. Oktober kündigt die Kameradschaft Hamm (KSH) einen Aufmarsch unter dem Motto „Stoppt den Volkstod – Wir lassen uns nicht BRDigen“ an. Nachdem Nazis aus Hamm und Umgebung bereits letztes Jahr durch den Hammer Westen unter dem Motto „Das System bringt uns den Volkstod – Freie Völker statt freie Grenzen“ marschieren durften, versucht die hiesige Neonaziszene nun scheinbar, eine jährliche Demonstration im Oktober zu etablieren.
Der Aufruf für den diesjährigen Aufmarsch bleibt derselbe, mit antisemitischer und rassistischer Hetze warnen sie vor einem drohenden „Volkstod“, der nur durch einen „Nationalen Sozialismus“ überwunden werde könne.
Der Blick auf die Redner_innenliste zeigt neben vertrauten Gesichtern wie Axel Reitz oder den NPD-Kreisvorsitzenden Hans Jochen Voß eine Besonderheit. Angekündigt als ein „echtes Original aus der Reichshauptstadt“ sticht Arnulf Priem hervor.
Arnulf Priem (Jahrgang 1950) zählte bis vor zwei Jahrzehnten zu den wichtigsten Neonazi-Anführern Deutschlands. Er war Kopf der „Kampfgruppe Priem“, Gründer des Nazi-Rocker-Vereins „Wotans Volk“ und Mitglied der Führungsriege der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“. Priem saß unter anderem Mitte der 90er wegen der „Bildung eines bewaffneten Haufens“ und unerlaubten Waffenbesitzes in Haft.
Die Kameradschaft Hamm – Zwischen Militanz…
In Hamm existiert eine über Jahre gewachsene Neonazi-Szene. Die Kameradschaft Hamm (KSH) gründete sich Anfang 2003 und war später Teil des Aktionsbüro Westdeutschland. Bis 2006 fanden insgesamt neun Kundgebungen statt, dann wurde es aufgrund der Inhaftierung des Kameradschaftsführers Sascha Krolzig ruhiger um die Szene. Doch vor allem in den letzten zwei Jahren tritt die Kameradschaft wieder stärker auf und scheint viel Zeit in Vernetzungsarbeit zu investieren.
Wie gut sie mit Gruppen anderer Städte vernetzt ist, zeigte sich vor allem bei einem Neonaziaufmarsch in Soest im Februar 2011, dessen Organisation maßgeblich die Kameradschaft Hamm übernahm.
Zu ihrer „politischen Arbeit“ in Hamm gehören Einschüchterungen und Übergriffe auf vermeintliche politische Gegner_innen zur gängigen Praxis. Als Beispiel seien hier mehrere Angriffe auf das Büro der Partei Die Linke zu nennen (Artikel).
Obwohl die KSH Hamm als „ihre Stadt“ bezeichnet und als Markierung ihres „Nazi-Kiezes“ immer wieder Hakenkreuze (Artikel), Parolen wie „Holocaust=Lüge“ oder „Juden raus“ (Artikel) im Stadtgebiet verbreitet, wird die Existenz einer organisierten Neonazistruktur in Hamm von Seiten der Stadtverwaltung und einem Großteil der bürgerlichen Mitte ignoriert oder gar bestritten.
Gegenaktivitäten werden in den meisten Fällen unterbunden, wie zum Beispiel eine Demonstration gegen den Naziaufmarsch 2010, die mit fadenscheinigen Gründen verboten wurde.
Die Situation in Hamm ist ein gutes Beispiel dafür, dass Rassismus und rechtes Gedankengut nicht durch Ignoranz zu bekämpfen sind. Ein konsequentes Eintreten gegen Rechts muss auch immer der Weg auf die Straße sein.
…und „Mitte des Volkes“ – Rassismus vom Rand zur Mitte
Rechtes Gedankengut und Rassismus finden verstärkt wieder Zugang zur „bürgerlichen Mitte“. Das wurde nach der Veröffentlichung des als Sachbuch deklarierten rassistischen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin sehr deutlich. Viel schlimmer als das Buch selbst, in dem der Autor eugenische Züchtigungs- und Selektionstheorien zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse propagiert, ist die sogenannte „Integrationsdebatte“, die nach der Veröffentlichung entbrannte und durch die mediale und politische Vermarktung derartiger Thesen angefeuert wurde.
Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und Enttabuisierung werden in Bild-Zeitung und anderen Medien regelmäßig antimuslimisch-rassistische Ressentiments bedient und Hau-Drauf-Parolen über die „Faulen“ und „Verschleierten“ geliefert. Aber auch in der besitzbürgerlichen Presse wie zum Beispiel der FAZ wird auf subtile Art gegen den Islam gehetzt und Rassismus in der konservativ bürgerlichen Mitte verankert und gefestigt.
Durch den politisch und medial hoch gepuschten Kulturkampf werden Feindbilder geschaffen, Muslime werden pauschal zu Islamisten stilisiert, mindestens aber sind sie die „Fremden“, die sich nicht an eine „deutsche Leitkultur“ anpassen wollen.
Dieser Kulturrassismus, dem der Rechtspopulismus Ausdruck verleiht, zielt auf die politische Mitte. Ängste werden geschürt, Symptome anstatt Ursachen problematisiert und durch religiös verklausulierten Rassismus und nationalistischem Anti-EU Protest simple Feindbilder erzeugt. In Verbindung mit jenen „Integrationsdebatten“ erhalten sie so eine besorgniserregend hohe Wirkungsmächtigkeit. In vielen europäischen Ländern ist die bürgerlich getarnte Rechte auf dem Vormarsch: Ob in den skandinavischen Ländern, wo in Norwegen nun ein trauriges Beispiel des fatalen Finals dieses Rassenwahns sichtbar wurde; ob in Frankreich unter Le Pen, den Niederlanden unter Geert Wilders, in Österreich erst unter Haider und jetzt unter H.C. Strache: Der Rechtspopulismus wird und ist bereits der Steigbügelhalter des tagtäglichen Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft.
Das Ergebnis der jüngsten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Mitte in der Krise – rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ entspricht solchen Entwicklungen. Rund ein Viertel der Befragten stimmen ausländerfeindlichen Aussagen zu. Die Zustimmung zu Islamfeindlichen Aussagen ist auf über 50 Prozent angestiegen.
Doch man sollte nicht meinen, dass lediglich eine Verschiebung der Feindbilder stattfindet. Auch Antisemitismus ist in Deutschland über 65 Jahre nach der Shoah immer noch weit verbreitet. Im Weltbild von ungefähr 20% der Deutschen finden sich antijüdische Einstellungen.
Das neue und gefährliche an dem Antisemitismus ist jedoch, dass er sich oft hinter vermeintlicher Israelkritik versteckt bzw. sich als solche zu legitimieren versucht.
Diese Normalität von Antisemitismus und Islamophobie, der zu beobachtende Alltagsrassismus, der sich in den Köpfen der Menschen immer mehr festigt, ist besonders erschreckend. Denn allzu oft geht er einher mit der Forderung, einen Strich unter die Geschichte zu ziehen, oder gar mit dem Versuch, eine deutsche Kollektivschuld am Holocaust abzulehnen und sich einer Verantwortung zu entziehen!
Grenzen – von sozialer Ausgrenzung bis zur Abschiebung
Seit je her ist es in Krisenzeiten beliebt, sich Sündenböcke aus den Reihen der Arbeitslosen, sozial Schwachen oder Migrant_innen zu suchen und diese zu stigmatisieren.
Von öffentlich auftretenden Personen wie Sarrazin oder Sloterdijk, der mitten in der Finanzmarktkrise 2009 in einem FAZ-Artikel die Schuld für die leere Staatskasse bei den Arbeitslosen suchte, wird die These von „den Staat Deutschland ausnutzenden asozialen Elementen“ in die Mitte der Gesellschaft forciert. Die Verbreitung dieser Thesen, solche Gruppen seien für die wirtschaftliche Krise verantwortlich, soll gezielt den Blick der (noch) breiten und verunsicherten Mittelschicht nach unten richten, auf die Verlierer der Krise, und nicht nach oben auf die Verursacher.
Doch dies geht an der Wirklichkeit in Deutschland vorbei. Die Einkommen sind seit der Gründung der Bundesrepublik so ungleich verteilt wie noch nie. Die Ausbeutung der Leiharbeitnehmer_innen, die Ausweitung prekärer Beschäftigung, Altersarmut und die Verfestigung von Arbeitslosigkeit als soziales Milieu sind nur einige Beispiele der alltäglichen gesellschaftlichen Ausgrenzungen. Die krisenhafte Gestalt des Kapitalismus bringt diese Ausgrenzung aus sich selbst hervor. Sein Herrschaftssystem funktioniert einzig über die andauernde Leugnung der eigentlichen Ursachen und Verursacher. Das kapitalistische Heilsversprechen begründet sich auf seiner angeblichen Naturgesetzmäßigkeit, und ist so der Ideologie eines „nationalen Sozialismus“ erschreckend nah. Und am Ende werden die Menschen, die die Krise am härtesten trifft, von der Gesellschaft marginalisiert und ausgeschlossen. Dabei gehen kapitalistische Wirkungen und rassistische Einstellungen oftmals bedrohliche Verbindungen ein.
Opfer dieser sozialen Diskriminierung und rassistischen Ausgrenzung sind vor allem Minderheiten. Ein Beispiel ist die Lage der Sinti und Roma. Auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung und auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen kamen sie ins westliche Europa. Die entsetzliche Realität, der sie dort begegnen, ist tragischer Weise nicht minder von sozialer Ausgrenzung durch Stigmatisierung und Diskriminierung gekennzeichnet.
Sie bekommen keine Aufenthaltserlaubnis und somit auch keine Arbeitserlaubnis, ein rechtmäßiger Anspruch auf Sozialleistungen wird ihnen verwehrt, und so ist vielen Sinti und Roma ein Leben unter katastrophalen Wohn- und Lebensverhältnissen bestimmt.
Im Kampf gegen die Armut müssen sie sich zudem vor neonazistischen Angriffen fürchten, wie kürzlich ein Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus in Leverkusen zeigte, in dem Sinti und Roma wohnten.
Doch dies ist nur die Spitze eines Eisberges, der sich tagtäglich aus der medialen Hetze gegen sie speist, die aus der Sicht vieler Stadtverwaltungen ein wirtschaftliches und ordnungspolitisches Problem darstellen. Dies liegt vor allem an der Mehrheitsbevölkerung aus deren Mitte jene Diskriminierung und jener Rassismus entspringt, der ethnischen Minderheiten ein würdevolles Leben in Deutschland vielerorts unmöglich macht.
Seit 2009, als der junge Staat Kosovo auf Druck der Bundesrepublik ein Rücknahmeabkommen einging, schiebt der deutsche Staat wieder massiv Roma in den Kosovo ab, wo ihnen nichts als Verfolgung und ein Kampf ums Überleben bevor stehen.
Nicht nur die Minderheit der Sinti und Roma wird durch die Ungerechtigkeiten des Asylrechts eine Existenz in Deutschland mit allen Mitteln erschwert. Jährlich suchen tausende Menschen Asyl in der Bundesrepublik. Etwa ein Drittel der Asylanträge wird nicht einmal inhaltlich geprüft. Etwa 2% der Asylsuchenden erhalten Schutz nach dem Grundgesetz, weitere 12% werden als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt. Doch die große Mehrheit von ca. 84% aller Anträge werden abgelehnt! Die Betroffenen müssen die Bundesrepublik verlassen oder werden, wenn aufgrund fehlender Papiere eine Ausreise nicht möglich ist, geduldet, bis schlussendlich eine Abschiebung erfolgt. Dies kann oft Jahre dauern.
Der Alltag der Menschen ist neben der immer präsenten Angst vor der Abschiebung geprägt von »Sachleistungen«, einer ungenügenden Krankenversorgung, einem Lagerleben und sozialem Ausschluss.
In der täglichen Praxis von Ausgrenzungen und Abschiebungen spiegelt sich eine der größten Ungerechtigkeiten des 21. Jahrhunderts wider.
Festung Europa
Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland und Europa bleibt im Verhältnis zu anderen Ländern, wie zum Beispiel Pakistan, Iran und Syrien, die viel mehr Flüchtlinge aufnehmen, gering. Dies liegt an der Grenzabschottung und weiterentwickelten Strategien, Flüchtlinge frühzeitig aufzuhalten.
Die EU hat es geschafft, nahezu alle Zugänge zu ihrem Territorium zu verschließen.
Grenzsoldaten versuchen an den europäischen Außengrenzen Tag und Nacht mit modernster Technik, „illegale“ Einwanderer von der EU fern zu halten.
Jährlich sterben vor den Toren Europas hunderte Männer, Frauen und Kinder. Sie erfrieren beim Versuch, Grenzflüsse zu durchschwimmen, kommen im griechisch-türkischen Minenfeld um, ersticken versteckt im LKW-Container. Im Mittelmeer ertrinken fast täglich Menschen auf dem Weg nach Norden. So umgibt Europa heute ein nasses Grab.
An Flughäfen, ebenfalls eine EU-Außengrenze, stehen nicht selten Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei und von Frontex und filtern per Gesichtskontrolle Verdächtige heraus. Wer dann ohne oder mit gefälschten Papieren gefasst wird, landet im Flughafen in Haft, um entweder direkt zurückgeschoben zu werden oder aber in die von Isolation und Entrechtung gekennzeichnete Internierungshaft zu kommen.
Durch ihre Beteiligung an der Zerstörung anderer Länder durch Krieg und Ausbeutung und ihre jahrelange Zusammenarbeit mit Unterdrückern und Diktatoren sind die europäischen Staaten dafür verantwortlich, dass Millionen von Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt und zur Flucht gezwungen werden. Das EU-Grenzregime, deren Mittel häufig tödlich und immer gewalttätig sind, dient zur Aufrechterhaltung einer ungerechten Weltordnung.
Das zeigt sich aktuell in einer EU-Politik, die geprägt ist von rassistischer Hetze gegen nordafrikanische Migrant_innen, von zahllosen Rückschiebungen, von noch schärferen Grenzkontrollen, sowohl innerer und noch mehr äußerer Grenzen und Grenzvorposten in nordafrikanischen Ländern, sogenannten Auffanglagern..
Als öffentliche Reaktion auf die Flüchtlinge entbrennt eine widerliche Debatte, die jegliche politisch-geschichtliche Verantwortung, die sich aus der Kolonisation und andauernden imperialistischen Ausbeutung ergibt, von sich weist. Stattdessen wird der Umgang mit Menschen von einem Selektionsdenken bestimmt, das die Flüchtenden einteilt in jene Migrant_innen, die „Europa braucht und jene, die es eben nicht braucht“.
Es wird darüber diskutiert, ob die Flüchtlinge ein „italienisches Problem oder ein europäisches“ sind und völlig ausgeblendet, dass es sich um Menschen handelt, die sich in einem täglichen Kampf um Leben oder Tod befinden!
Die Festung Europa ist eines: ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!
Enough is enough! – Gegen alltägliche Unzumutbarkeiten!
Wir werden den Aufmarsch der rechten Szene nicht unkommentiert lassen.
Wir werden unsere Stimmen erheben: Für eine tolerante Welt und gegen jeden Rassismus. Gegen das tägliche Unrecht der Ausgrenzung und Ausbeutung und für eine freie Welt ohne Kapitalismus. Gemeinsam für Solidarität und gleiche Rechte für alle!
„Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung! Für eine freie Welt ohne Grenzen!“
Im Anschluss an unsere Demo werden wir uns geschlossen zur Naziroute bewegen, um ihnen kreativ, bunt und laut zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind!
Für einen konsequenten Antifaschismus!
01. Oktober // Hamm (Westf) // Demonstration